Die Entscheidung der US-Regierung am Mittwoch, bereits bestellte und bezahlte Munition aus den USA für die ukrainische Luftabwehr nicht mehr auszuliefern, wirkte auf viele wie ein Schock. Denn sie fällt ausgerechnet in eine Zeit, in der Russland die Ukraine fast täglich mit neuen Rekordzahlen an Drohnen und Raketen angreift. Nachdem die Ukraine die russische Sommeroffensive im Osten des Landes weitgehend abfangen konnte, stellt sich nun die Frage, ob die Kriegssituation doch kippen könnte. Falls die USA der Ukraine nicht mehr lieferten, was für die Kriegsführung nötig sei, wäre dies ein ernsthafter Rückschlag für die Ukraine, die EU und die Nato, warnte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Donnerstag. Auch der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter warnte vor einem fatalen Doppelspiel: «Dies sind kommunizierende Röhren im doppelten Sinn», sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.

Tatsächlich erreichten die russischen Angriffe auf ukrainische Städte in den vergangenen Tagen neue Höhepunkte. Teilweise wurden zivile Ziele mit mehreren hundert Drohnen und zahlreichen Raketen angegriffen. Die ukrainische Luftabwehr muss sehr viele Ressourcen einsetzen, um zumindest einen Teil abzufangen. «Falls die Ukraine keinen Nachschub für die Luftverteidigung bekommt, wird Russland das Spiel 'Zentrum-Peripherie' spielen», meint Sicherheits- und Ukraine-Experte Nico Lange. Die Ukraine müsse entscheiden, ob sie die verbliebenen Systeme und Munition entweder zum Schutz von Städten wie Kiew verwendet oder eben zum Schutz wichtiger Infrastruktur im ganzen Land - Russland würde jeweils den anderen Teil des Landes angreifen. Die täglichen Bilder brennender Gebäude sollten die Ukraine psychologisch zermürben.

Was kann Abhilfe schaffen?

Am Freitag soll nun unbestätigten Berichten zufolge US-Präsident Donald Trump mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefonieren. Lange sieht dabei die Möglichkeit einer Einigung. Denn die gestoppten und zu den US-Streitkräften umgeleiteten Waffenpakete seien unter dem früheren US-Präsidenten Joe Biden genehmigt und bezahlt worden. Selenskyj könnte anbieten, die Munition etwa für die Patriot-Luftabwehrsysteme mit ukrainischem Geld zu kaufen. «Oder aber die Europäer bezahlen sie.» In beiden Fällen könnte Trump als Erfolg verbuchen, dass er US-Steuerzahlergeld eingespart habe.

Die Europäer hätten sich fälschlicherweise darauf verlassen, dass Trump die Waffenlieferungen schon wieder aufnehmen werde, kritisiert Lange. Dabei sei seit langem klar gewesen, dass genau dies nicht geschehen würde. Eine alternative Produktion, wie sie im Bereich der Artillerieproduktion mittlerweile aufgebaut wurde, sei etwa für die Patriot-Munition noch nicht möglich. Wirklich katastrophal wäre, wenn Russland Schritt für Schritt die Lufthoheit in der Ukraine erlangen und seine Luftwaffe einsetzen könnte.

Das wisse Trump, beklagt CDU-Politiker Kiesewetter, der ein Umdenken fordert. «Die Entscheidung Putins, konsequenzlos die Ukraine intensiver zu zerstören als bisher und der US-Rückzug aus der Unterstützung wirken wie abgestimmt und lassen die Europäer sehr schwach dastehen», kritisiert er. «Wenn Europa nicht konsequent in einer Koalition der Willigen das Ruder herumreisst, wird Russland über die Ukraine hinaus weiter eskalieren», warnt er. Trump habe «die Seiten gewechselt» und sehe die Ukraine schon in der russischen Einflusszone. Auch die Deutschen müssten deshalb endlich verstehen, dass sie entweder kriegstüchtig würden oder aber die Kriegsgefahr steigen werde. Dabei könne die Ukraine weiter siegen, meint Kiesewetter. «Nur hat sie bislang die schlechteren Partner als Russland.»

(Reuters)